Silbermann Orgel zu Reinhardtsgrimma
Evangelische Kirche Reinhardtsgrimma
Kreuzorganist Herbert Collum
Kunsterlebnisse unterwegs:
Reinhardtsgrimma
Sonntägliche Fahrt durch das Müglitztal, von Heidenau aufwärts.
Dohna, einst Sitz des mächtigen Rittergeschlechts der Donin. Sattes
grün der Wiesen, laubwaldbestandene steile Hänge. Burg Weesenstein
auf dem „weesen steyn", schon 1275 erwähnt; reizender kleiner Park
im französischen Stil, bedeutende Bildtapetensammlung im
Schlossmuseum. Und wieder Grün, jetzt ins Schwarzgrüne wechselnd;
vom Bahnhof Niederschlottwitz den Schlottwitzgrund steil hinauf. Die
Buschhäuser, von Thormeyer 1810 erbaut; zwei bemerkenswerte
Tonreliefs mit jagdlichen Motiven in Bogenfeldern über den
Eingängen. Vielleicht Mittagsrast in der „Buschhausschänke"?
Freundlicher Aufenthalt. Robert Schumann, der 1844 bis 1850 oft im
nahen Maxen weilte, schwärmte von den Spaziergängen hierher. - Ein
paar Autominuten oder ein halbes Stündchen zu Fuß noch bis
Reinhardtsgrimma. Von der Höhe am Waldrand ein herrlicher Blick nach
dem östlichen Erzgebirge.
In der Wanderkarte ist das Waldhufendorf Reinhardtsgrimma mit einem
Stern versehen - Ort mit Sehenswürdigkeiten. Es müssten, um dem
gerecht zu werden, drei rote Sterne sein. Das Schloss, von J. F.
Knöbel erbaut, eines der schönsten Zeugnisse des sächsischen
Rokokos, heute Fachschule der Landwirtschaft; der große englische
Park mit dem seltenen, sich weit ausweitenden wundervollen alten
Baumbestand und mit dem kleinen „Badehaus" im klassizistischen
Stil... die Kirche, eine der ältesten und größten Dorfkirchen der
weiteren Umgebung mit dem wuchtigen viergeschossigen Turm; eine der
schönsten sächsischen Dorfkirchen würde ich sie nennen in ihrer
wohltuend schlichten Barockarchitektur, mancherlei romanische und
gotische Elemente als kleine Kostbarkeiten in sich einschließend und
liebevoll bewahrend; im vergangenen Jahr erst meisterhaft
denkmalpflegerisch restauriert. 1731 wurde die Orgel geweiht, die
21. Orgel Gottfried Silbermanns. Sie ist es, die dem Ort vor allem
anderen wohl das Sternchen ein trägt.
Aber vielleicht - kleine Episode am Rande - verdient auch der
Abschnittsbevollmächtigte von Reinhardtsgrimma ein Sternchen
besonderer Erwähnung: Für die Umsicht, die Freundlichkeit und
Höflichkeit, mit der er mit seinen zwei freiwilligen Helfern an
diesem Sonntag Dienst tut, dir eine Parklücke am Rande der winkligen
Straßen sucht, dich ein winkt, ohne Aufsehen, dir guten Tag sagt,
ganz selbstverständlich. Du bist Gast hier, und man weiß, dass viele
Gäste kommen werden, von nah und fern, Ausflügler, Naturfreunde,
Musik freunde (und solche, die diese Eigenschaften in sich
vereinen). Professor Herbert Collum spielt auf der Silbermannorgel.
Zauber eines einmalig schönen Klanges, herb und doch singend, weich
zugleich; meisterliches Spiel, des Dresdner Kreuzorganisten:
Purcell, Durante, Bach, Collum, Dandrieu, Kerll, Clarke - und wieder
Bach. Das klingt im Raum, und das klingt in dir, leicht und
fröhlich, diesseits und gar nicht entrückend, und das ist es, was
kein moderner Konzertsaal dir bieten kann: Du erlebst die Musik
durch die lichte Schönheit des Raumes und erlebst den Raum durch die
Musik. Strahlender Ausklang „Sommerlicher Orgelmusik" mit Präludium
und Fuge e-Moll…
Erlebnis eines Sommertags, bestimmt vom Zusammenklang von
Landschaft, Architektur und Musik, bestimmt von Silbermann, Bach und
Collum; Kunsterlebnis abseits der Stadt.
Warum spielt der berühmte Kreuzorganist jedes Jahr zumindest einmal
in dem kleinen Dorf Reinhardtsgrimma? Vielleicht klingt die Frage
naiv ... Die Silbermannorgel... !
„Mich zieht es seit 1936, als ich sie das erste Mal spielte, immer
wieder an diese Orgel", erzählt mir Professor Collum. „Sie ist ein
kleines Juwel von wundervoller Klangschönheit. Sie könnte aber wohl
auch nirgends anderswo so klingen; denn Silbermann hat seine Orgeln
stets direkt in der Kirche gebaut, sie förmlich „eingepasst“ in die
Architektur und in die Akustik des Raumes." Es ist aber nicht allein
die Orgel, die Professor Collum immer wieder nach Reinhardtsgrimma
lockt, „es ist ebenso die Schönheit dieser Dorfkirche, die
Atmosphäre hier, auch die Landschaft und die Menschen, denen ich
sehr verbunden bin". Hierher, nach Reinhardtsgrimma, war er 1945
auch gegangen, als Dresden die Bombenangriffe drohten. „Die
sowjetische Militäradministration bat mich dann, ich möchte doch
wieder nach Dresden kommen, mitwirken am Wiederaufbau des
Kulturlebens. Und so war es die Musik Bachs, die als erste wieder im
zerstörten Dresden erklang."
Der Weg nach Reinhardtsgrimma ist wohl für Professor Collum auch
eine Art Gleichnis zu Bach, der auch an Sonntagen „aufs Dorf ging,
die Orgel zu spielen". „Ich möchte alle auch nur ein kleinwenig
kunstliebenden Menschen ansprechen, ihnen Freude machen, zum
Erlebnis helfen . .. Denn die Liebe zur Kunst wird größer durch
jedes schöne Kunsterlebnis. Und es ist einfach erstaunlich, geradezu
ein Phänomen, welche Aufnahmelust und Begeisterung in unserem Land
heute Orgelmusik findet, vor allem bei sehr vielen jungen Menschen.
Ich glaube, so etwas gibt es kaum anderswo. Ich habe in der BRD zum
Beispiel wenig davon gespürt... Deshalb war ich eigentlich auch ein
bisschen traurig darüber, dass ein Orgelkonzert zu unseren 1.
Dresdner Musikfestspielen gefehlt hat. Eine Anregung...!
Sächsische Zeitung vom 11. Juli 1978
Roland Burkhard