Jens Küster, Dresden
Innere rhythmische Zirkel
Flechtwerk, Fassaden,
Jalousien oder schillernde Wasserflächen – Jens Küsters
(*1965) von 2004 bis in die Gegenwart hinein geschaffene
Werke wecken vielfältige Assoziationen. Mit geregelten
Abfolgen sich wiederholender Strukturen, feinmaschigem
Gewirk, farbigem Flirren unterscheiden sie sich grundlegend
von solchen Gemälden, die aus Kompositionsmustern,
Ikonografie und Gattungen der Kunstgeschichte schöpfen.
Ausgebreitet in ruhiger Bewegung, einem vibrierenden
Gleichmaß, rühmen, mahnen, klagen oder erzählen sie zunächst
nichts; bleibt die Begegnung mit den Bildern auf einer
vorsprachlichsinnlichen Ebene. Von hohem ästhetischem Reiz,
gehen die Absichten des Künstlers über dekorative Wirkung
jedoch entschieden hinaus.
Der gebürtige Dresdner erwarb sich seine künstlerischen
Grundlagen während des Studiums der Metallplastik sowie der
Grafik und Malerei an der Hochschule für Kunst & Design
Halle Burg Giebichenstein. Thomas Rug und – für ihn
besonders prägend – Ludwig Ehrler (†) waren seine
Professoren; er kam mit vielen unterschiedlichen
Gestaltungsstilistiken in Berührung.
Damit mag die unorthodoxe Herangehensweise an seine Werke zu
erklären sein, in denen seriell verwendete Module, Zeilen
und Raster eine Hauptrolle spielen.
Vor allem aber prägte ihn die traditionell akustisch
erzeugte Rhythmik Nordindiens. Weil er in ihr etwas fand,
das mit seinem Selbstverständnis, seiner damaligen Weltsicht
zu tun hatte, studierte Jens Küster sie seit 1994 in
Kalkutta und Berlin auf der „Tabla“. Die hörbaren Klänge
dieses Instruments, das aus einer hellen Pauke und der
Basspauke besteht, überträgt er in Strukturen auf der
Bildfläche. Zur künstlerischen Umsetzung verschiedener
Rhythmen verwendet er dabei jeweils unterschiedliche
Stempel, sodass die Metren in synchronen Draufblicken zutage
treten. Somit sind die Bilder als Notationssysteme, also wie
Notenblätter, zu verstehen.
Auch wenn Jens Küster bei den Arbeiten noch weiß, was für
ein Metrum oder welche Komposition jeweils dahinterstand,
sind sie jedoch kaum abspielbar, da er sie in einem Akt
kalkulierter Umformung durch Zerschneiden, Verflechten,
Abdecken und so weiter wieder auseinanderreißt und neu
zusammensetzt. Durch das Ineinanderflechten schmaler und
breiterer Streifen gewinnen seine
„Metrenflächen“ horizontal wie vertikal an Dichte und
Tiefgründigkeit.
Trotz solch planvoller Entstehungsweise – lebendig wird das
Einzelwerk durch Unregelmäßigkeiten! Nicht umsonst nannte
der seit 1998 freischaffend arbeitende Künstler frühere
Einzelausstellungen „Innere Rhythmische Strukturen“,
„Rhythmusstörung“ oder „Verwerfung“. Bei längerer
Betrachtung ist ein Pulsen, ein Schwingen unter der
Oberfläche wahrzunehmen. Innerhalb der absichtsvoll
geschaffenen Strukturen scheint der Zufall wieder auf –
Ordnung und Chaos durchdringen einander.
Taucht der Betrachter in den farbig fein differenzierten
Mikrokosmos dieser Bilder ein, lässt sich eine Endlosigkeit
von makrokosmischen Dimensionen erahnen. Jens Küsters Werke
vermitteln damit neben sinnlichen Sehereignissen Gleichnisse
für Gesetzmäßigkeiten, wie sie auch in der Natur gelten.
Dr. phil. Anke Fröhlich-Schauseil, Dresden
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